1, 2, 3, 4, Eckstein..

Samstag, 1. April 2017


.. Noah muss versteckt sein.

Ich war 19, als ich mit Noah schwanger war.
Ich war jung, frisch in einer Beziehung und weder die Schwangerschaft noch der Abbruch waren geplant. Heute möchte ich aber nicht über die Schwangerschaft berichten oder darüber, wieso weshalb warum Noah gehen musste, sondern über das ewige Versteckspielen mit... naja...
eigentlich allen.

Wenn man erst 19 ist, seit 5 Monaten in einer Beziehung und eine Schwangerschaft so weit weg erscheint wie nur irgendwie möglich, dann ist es schwierig, darüber zu reden, wenn es doch passiert. Es ist schwierig, mit Eltern darüber zu reden, die dich mit Kind noch weniger unterstützt hätten als sowieso schon und die nicht verstanden hätten, warum eine Fehlgeburt auch schrecklich ist, wenn man eigentlich noch gar kein Kind geplant hatte. Wenn man aus schwierigen Verhältnissen kommt, dann schweigt man. Man schweigt über eine Schwangerschaft und man schweigt erst recht, wenn dein kleiner Engel sich dazu entschließt, dass die Zeit noch nicht reif ist.

Drei Jahre, fünf Monate, siebenundzwanzig Tage lang schweigen wir bereits.
Ich, weil ich von meiner Familie keine Unterstützung erwarten kann und irgendwann einfach den Moment verpasst habe, an dem es sinnvoll gewesen wäre, doch zumindest mit meiner Mutter darüber zu reden. Der Held, weil er in der Anfangszeit nicht realisieren konnte, was uns da wirklich passiert war und er, als er es endlich doch verstanden hat, seiner Familie den Schmerz ersparen wollte.
Und der Moment war irgendwie auch verpasst.

Wir haben niemanden, bis auf ein, zwei Freunde, der Noah beim Namen nennt, ihn als unser Kind ansieht, von ihm redet. Wir haben niemanden, der mit uns Kerzen anzündet, uns das Gefühl gibt, dass er zur Familie gehört, mit uns trauert. Es fehlt.
Und in manchen Momenten fühlt sich alles deshalb so unwirklich an.

Wie einige von euch wissen, ist im September 2015 meine Schwester verstorben. Zum Zeitpunkt ihrer Krankheit und auch davor wohnte sie circa 100 Kilometer weit entfernt und ich habe es nie übers Herz gebracht, ihr von ihrem Neffen zu erzählen. Erst, weil wir es komplett für uns behalten haben, dann aber weil mir ihre Krankheit so viel wichtiger erschien als unser Leid. Als sie starb, wusste ich nicht, wie schlimm es wirklich um sie stand und bis heute mache ich mir riesige Vorwürfe, ihr nie von Noah erzählt zu haben.

Nun frage ich mich, wann wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, offen zu sein?
Wie soll man drei Jahre, fünf Monate, siebenundzwanzig Tage später einen Weg finden, es seinen Eltern zu erzählen, ohne dass es beiläufig klingt, ohne dass sie einen für verrückt erklären, ohne richtigen Zeitpunkt?

Ich sitze mittlerweile oft hier und denke mir, der schlimmste Fehler meines Lebens war es, zu schweigen. Was, wenn meiner Mama, seiner Mama, irgendwem irgendwas passiert und wir keine Chance mehr haben, darüber zu reden?
Werden sie unseren Noah im Himmel überhaupt kennen lernen, wenn sie nicht von ihm wissen?

Die Schuld, nicht mit meiner Schwester über Noah gesprochen zu haben, steht genau so riesengroß in meinem Kopf wie die Tatsache, dass der richtige Moment einfach verpasst ist und wir niemals mit unseren Familien darüber reden können.
Es macht mich fertig.

Wer sein wahres Gesicht
hinter gerade passenden Masken
versteckt, verliert es
mit der Zeit aus seinen Augen.
- Ernst Ferstl.

Mein Leben mit ohne Noah - nicht in unserem Garten und trotzdem immer bei mir. ♥

4 Kommentare:

  1. wir haben darüber schon mehrmals geredet, aber auch hier nochmal: ich denke nicht, dass es jemals den richtigen, perfekten zeitpunkt dafür gibt. aber ich bin mir sicher, dass deine schwester dir niemals böse deswegen wäre. sicher passt sie im himmel gerade auf ihn auf, damit er sich in seinem kindlichen leichtsinn nicht verletzt oder verläuft (falls man sich im himmel überhaupt verlaufen kann). ich bin sicher, dass sie das versteht. und die leute, die dich/euch kennen und lieben, verstehen das auch. ich bin immer noch der meinung, dass du es wenigstens deiner mama sagen solltest, denn auch wenn du davon nicht ganz überzeugt bist, sie ist deine mama, sie liebt dich und sie wird deinen schmerz verstehen. ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es dir danach deutlich besser geht und dir ein riesiger stein vom herzen fällt, denn wie gesagt: es gibt einfach keinen perfekten zeitpunkt. du hast nichts verpasst, nichts falsch gemacht. und selbst wenn - die vergangenheit kannst du nicht ändern, aber du kannst die zukunft ändern, indem du nicht zulässt, dass dir erneut etwas derartiges passiert wie mit deiner schwester. die schuldgefühle sind nicht nötig, trotzdem sind sie da. und weil du mir wichtig bist, möchte ich nicht, dass dir das nochmal geschieht. deswegen kann ich es dir nur immer wieder ans herz legen mit deiner mama zu reden.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich habe viel darüber nachgedacht und du hast einfach recht. Ich denke auch, dass ich mit meiner Mutter darüber reden sollte, aber auch wenn es den richtigen Moment einfach nicht dafür gibt, werde ich versuchen, einen Moment zu finden, der vielleicht nicht KOMPLETT falsch ist. Wenn der Held und ich erstmal ein wenig Abstand von unseren (bzw hauptsächlich meinen) Eltern gewonnen haben und ich deshalb keine großartigen Konsequenzen mehr zu erwarten habe, wird es mit Sicherheit weitaus günstigere Momente dafür geben.
      Danke, dass du immer ehrlich zu mir bist und mir hilfst, auch unangenehme Dinge zu überstehen. ♥

      Löschen
  2. Ich kann sehr gut nach vollziehen wie du dich fühlst :(
    Dein Post hat mich sehr zum nachdenken verbracht.
    LG :*

    AntwortenLöschen

 
Design by Mira Dilemma.