Wie der Tod meiner Schwester mich zu einem besseren Menschen machte.

Samstag, 29. Juli 2017



Chester Benningtons Tod hat auch mich sehr mitgenommen. Mehr, als ich es mir vielleicht eingestehen will und mehr, als vielleicht "normal" wäre.
In den letzten Tagen habe ich viel darüber nachdenken müssen.
Nein, ich kannte Chester nicht. Aber man muss einen Menschen auch nicht persönlich kennen, um gewisse Charakterzüge beobachten zu können und um mit Sicherheit behaupten zu können, dass dieser Mensch mehr als verzweifelt gewesen sein muss, um sich das Leben im Haus seiner Familie zu nehmen. Bei ihm wurde die Familie nicht nur groß geschrieben, er lebte für seine Familie.
Diese Verzweiflung, die so groß gewesen sein muss, dass er nicht mal mehr an seine Familie denken konnte, schmerzt mich sehr.

Ich denke also nach. Darüber, wie es sein muss, den Kampf gegen seine eigenen Dämonen komplett verloren zu haben.

Bisher dachte ich immer, ich wäre selbst schon oft an diesem Punkt angelangt. Fakt ist, dass ich erst ein mal selbst ähnlich verzweifelt war, mich der Gedanke an Freunde und Familie aber dann doch wachgerüttelt hat. Ähnlich wie bei meiner Schwester.

Sarah war ebenfalls an diesem Punkt, hatte Probleme mit sich, mit anderen, mit der Welt.
Es gab oft Momente in ihrem Leben, in denen sie einfach nicht mehr wollte, nicht mehr konnte.
Bis zu ihrer Krankheit.
Denn wenn man physisch krank wird und weiß, man wird in naher Zukunft definitiv sterben, dann merkt man erst, wie wertvoll das eigene Leben letztendlich doch ist. So stelle ich es mir jedenfalls vor.
Trotz herber Rückschläge, die ihr immer und immer wieder den Lebenswillen genommen haben, gab es schlussendlich wohl niemanden, der mehr um sein Leben gekämpft hat, als meine große Schwester.

Wenn man krank ist, fallen einem plötzlich so viele Dinge ein, die man noch erleben will, die man noch sehen will und die man einfach vorher hätte machen sollen.
An diesen Punkt möchte ich nicht geraten.
Auch, wenn ich im Endeffekt gerade nichts habe, viel verloren habe und viele Dinge einfach nicht möglich sind, möchte ich, dass andere Menschen ihre Träume verwirklichen können.

Diese Erkenntnis habe ich trauriger Weise erst, seit Sarah tot ist.
Vorher war die Angst einfach zu groß, anderen Leuten zu helfen. Blut, Knochenmark oder Stammzellen zu spenden war für mich nie ein Thema. Das Unbehagen gegenüber Krankenhäusern und Nadeln war einfach zu groß.
Und wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich nie daran gedacht, fremden Menschen zu helfen, weil ich mir immer vorkam, als wäre ich diejenige, der man helfen müsste.

Jetzt, wo ich sehen musste, dass meine Schwester um ihr Leben gekämpft und verloren hat, weiß ich, es gibt Menschen, die brauchen kein Geld, keine teuren Hobbies und keine Ausflüge.
Es gibt Menschen, die ein Leben brauchen. Das Leben, das wir viel zu oft als selbstverständlich wahrnehmen.

Es gibt so viele Menschen, die an tödlichen Krankheiten leiden und entweder durch das Versagen ihres Körpers oder durch den Krieg mit ihren inneren Dämonen sterben müssen.

Chester hatte alles. Er hatte Geld, Freunde, Familie. Und trotzdem musste er sterben.

Ich habe kein Geld, das ich spenden kann und ich habe selbst viele schwerwiegende Probleme.
Aber hält mich das davon ab, ein guter Mensch zu sein und anderen zu helfen?
Nein.

Ich habe mich bei der DKMS registriert, um Leben zu retten.
Es ist mir egal, wie oft man mir dafür Nadeln in den Arm stechen muss, solange andere Menschen durch mich die Chance auf ein neues Leben haben.

Am 21. August werde ich das erste mal in meinem Leben Blut spenden.
Erst am Donnerstag habe ich freiwillig ein Blutbild beim Arzt erstellen lassen, um zu wissen, ob ich ohne Probleme Blut spenden kann. Meine Werte sind perfekt, mein Blut regeneriert sich nach der Spende und somit habe ich nichts verloren.

Ich bin Organspender.

Ich lege Flyer zur Aufklärung über Gebärmutterhalskrebs und HPV bei meinem Arzt aus.

Ich unterstütze die Kampagne Always Keep Fighting.

Ich sammle Kleidung, die ich an das nahegelegene Hospiz spenden werde,
ebenso wie ich Handtücher, Decken und Kuscheltiere für das Tierheim in der Nähe sammle.

Man muss nicht viel Geld haben, um Gutes zu tun und auf Probleme aufmerksam zu machen.
Man braucht nicht viel, um anderen zu helfen und um ihnen ein kleines Lächeln in's Gesicht zu zaubern.

Es ist egal, ob du Hunden und Katzen ein Spielzeug überlässt
oder ob du Menschen ein neues Leben schenkst.
Es ist nur wichtig, dass du das Leben wertschätzt und gutes tust, am besten jeden Tag.

Ich war früher ein sehr verschwenderischer Mensch und habe alte Kuscheltiere lieber weggeworfen, als eine Verwendung dafür zu finden. Das tu ich nicht mehr. Es gibt Lebewesen, die auf Dinge angewiesen sind, die wir Tag für Tag wegwerfen oder als selbstverständlich ansehen.

Es tut mir weh, zu sehen, dass der Tod meiner Schwester mir erst die Augen öffnen konnte.
Aber so nehme ich wenigstens etwas anderes mit, als den ganzen Schmerz, der mich sonst begleitet.



Seid gute Menschen. Helft, wo Hilfe benötigt wird.
Verliert nicht erst jemanden, um das zu verstehen.


If they say
Who cares if one more light goes out?
In the sky of a million stars
It flickers, flickers
Who cares when someone's time runs out?
If a moment is all we are
Or quicker, quicker
Who cares if one more light goes out?
Well I do.

Mein Leben mit ohne Sarah - Nicht in meiner Nähe und trotzdem immer bei mir. ♥

Blogumfrage

Sonntag, 7. Mai 2017

Hallo ihr Lieben!

In den letzten Tagen ist es bei mir ein wenig ruhiger gewesen, was viel mit privatem Stress, Krankheit und dem nicht ganz so üblichen Drunter und Drüber zu tun hat.
Um den Blog ein wenig interessanter zu gestalten, brauche ich in nächster Zeit mal eure Meinung.
Aus diesem Grund habe ich hier eine kleine Blogumfrage gestartet, bei der ihr mir mitteilen könnt, was genau ihr hier lesen möchtet, beziehungsweise in welche Richtung es künftig gehen sollte.
Hier möchte ich die Auswahlkriterien gerne noch mal kurz erklären, damit keine Missverständnisse aufkommen und ihr denkt, nächste Woche findet sich hier ein neuer Nagellackblog, der mit Noah rein gar nichts mehr zu tun hat. 

Bei der Abstimmung könnt ihr unter folgenden Kategorien wählen:

Ich möchte nur über Noah lesen.
Dieser Punkt erklärt sich eigentlich weitesgehend von selbst. Dich interessiert meine Trauerverarbeitung bezüglich Noahs Verlust und du möchtest, dass dieses Thema der absolut einzige Mittelpunkt dieses Blogs ist und auch bleibt? Dann teile mir dies gerne mit!

Ich möchte über deine Trauerverarbeitung lesen.
(Noah und Sarah)

Einige von euch werden bei Instagram schon mitbekommen haben, dass ich 2015 meine Schwester Sarah ebenfalls gehen lassen musste. Wenn dich interessiert, was genau geschehen ist, wie ich täglich damit umgehe, wenn dich vielleicht auch der Vergleich zwischen den verschiedenen Verarbeitungen interessiert, dann mache deinen Haken gerne bei diesem Punkt.

Ich möchte auch mehr von dir persönlich lesen!
Ich denke, diesen Punkt werde ich ein wenig erklären müssen. Fakt ist, dass ich auch in Zukunft relativ anonym hier bleiben möchte. Es wird weiterhin nur wenige Fotos von mir auf Instagram geben, auf diesem Blog möglichst keine bis auf mein Google-Profilbild. Ich werde weder meinen vollen Namen noch meine Heimatstadt oder andere private Informationen hier kundtun. Was ich aber mit diesem Punkt meine, ist einfach, dass ich euch Tagebuch-mäßig ab und an berichte, was wichtiges bei mir ansteht. Warum es momentan etwas ruhiger um mich war, wie es mit der Wohnungssuche aussieht oder ein einfaches "Ich war heute in der Stadt und habe das und das entdeckt, was mich an Noah erinnert hat". Weiterhin also Gedanken und Gefühle, die sich auf meinen Alltag beziehen und nicht grundlegend auf die Trauerverarbeitung.

Schreib, worüber du willst!
Unter diesem Punkt verstehe ich ganz einfach.. naja.. alles. Seien es Buchrezensionen, DIY-Anleitungen oder irgendwas, was mich gerade beschäftigt. Selbstverständlich werde ich hier keine Twilight-Bücher rezensieren oder DIY Shampoos vorstellen, sondern mich bei jedem Blogeintrag irgendwo im Thema Sternenkinder befinden.

Ich hoffe, dass es sich bei mir mittlerweile alles wieder so eingerenkt hat, dass ich euch in den nächsten Wochen mit Blogeinträgen bombardieren kann.
Auch eure Postkarten, Briefe und Päckchen habe ich definitiv NICHT vergessen, seid mir bitte nicht böse. Um die richtigen Worte zu finden und nicht irgendwas liebloses dahinzuschreiben, möchte ich mir etwas Zeit nehmen und die Sachen an ruhigen, friedlichen Abenden gestalten.

Habt eine schöne Woche voller Liebe, Sonne und ganz ohne Stress!
(Im besten Fall.)

Denken ist die schwerste Arbeit, die es gibt.
Das ist wahrscheinlich auch der Grund,
warum sich so wenig Leute damit beschäftigen.
- Henry Ford.


Mein Leben mit ohne Noah - nicht bei uns im Garten und trotzdem immer bei mir. ♥

Worte treffen immer.. (Teil 1)

Sonntag, 23. April 2017

Eigentlich hatte ich mir geschworen, die Negativität hinter mir zu lassen und in allen Dingen etwas positives zu finden. Doch wie das Leben so spielt, gibt es immer wieder Arschlöcher, die einem eben diese Negativität mit voller Wucht in's Gesicht drücken und erst damit aufhören, wenn man daran erstickt. Und ich ersticke gerade.
Seit ich beschlossen habe, offen über meinen Sohn zu reden, sei es auf Instagram oder mit Freunden, habe ich genau ein mal etwas schlechtes zu hören bekommen, ich erzählte hier bereits davon. Ein einziges Mal in einem Jahr, von Menschen, die meiner Meinung nach alles sind, aber keine wirklich guten Menschen. Ich bin froh und stolz darauf, dass ich sowohl auf Instagram als auch unter meinen Freunden bisher nur positive Dinge gehört habe und mir bisher jeder sagte, es ist wichtig und gut, dass ich mir selbst nun erlaube, zu trauern. Viele Ängste und Zweifel wurden mir genommen und seit gut einem Jahr bekomme ich so viel Unterstützung in meiner Trauerbewältigung, dass es wirklich bergauf gegangen ist. Bis jetzt.

Natürlich könnte man fragen, was ist eine einzige fiese und ekelhafte Nachricht schon wert, gegenüber einem Jahr vollste Unterstützung und Verständnis von wirklich lieben Menschen?
Ich sag's euch: Viel zu viel.
Wenn man einen wunden Punkt besitzt, und es ist egal wie dieser aussehen mag, dann blutet dieser wunde Punkt mindestens acht mal so viel wie jeder andere Angriffspunkt, den man zu bieten hätte.
Auch, wenn man eigentlich ganz genau weiß, dass der Angreifer ein herzloses Arschloch ist und vermutlich einfach nur irgendwelche eigenen Probleme kompensieren möchte.
Vor einigen Wochen habe ich versucht, den Blog etwas publik zu machen, und habe ihn in ein bekanntes "Frauenforum" gepostet. Tatsächlich hat mir das einige Aufrufe verschaffen können, sogar zwei neue Kommentare und nette Worte im Forumsthread. Bis dann schließlich eine Dame nicht ganz nett reagiert hat. Ich möchte ihren Kommentar hier posten und ja, mich auch für die Dinge rechtfertigen, die sie darin angreift.
Für alle, die das gleiche denken wie sie und vor allem für mich selbst, denn ich denke seit Wochen darüber nach.

Den Kommentar werde ich insofern bearbeiten, dass ich die Satzstellung sowie Rechtschreibfehler verändere bzw. verbessere, um es leserlicher für den Blog zu gestalten.Ich werde den Inhalt und den Sinn ihrer Nachrichten nicht auch nur ansatzweise verändern.
Wer die originalen Screenshots sehen möchte, schreibt mir bitte eine Nachricht im Kontaktformular mit seiner E-Mail-Adresse. Den Nutzernamen der Person werde ich jedoch unkenntlich machen.


"Hallo,
dein Blog ist wirklich schön, aber warum kaufst du dir D R E I Jahre nach deiner Fehlgeburt Socken für dein Kind???
Du solltest dir wirklich professionelle Hilfe suchen. Du hattest doch keine stille Geburt. Du warst doch noch ganz am Anfang deiner Schwangerschaft. Es war eine Fehlgeburt und nach drei Jahren solltest du es als solche betrachten.
Du versuchst dich hier in eine Scheinwelt zu flüchten, das bringt doch nichts.
Klar trauert man um einen Fötus, alles verständlich. Aber für einen Abgang im ersten Schwangerschaftsdrittel nach drei Jahren immer noch Klamotten oder Einrichtung kaufen zu wollen, ist nicht mehr im Rahmen. Du musst wirklich akzeptieren, dass dein Kind nicht für diese Welt bestimmt war. Es ist ein Sternenkind, das von oben auf euch aufpasst. Und dass die Natur das so regelt ist auch normal und gut so. Du musst lernen, Abschied zu nehmen und dein Leben ohne dieses Kind weiter zu leben. Such dir Hilfe beim Frauen- oder Hausarzt. Die haben die entsprechenden Adressen."

  • Nun, abgesehen von wilden Spekulationen meine Unterstützung betreffend (denn nirgendwo in diesem Blog ist vermerkt, dass ich KEINE psychologische Hilfe bekomme), finde ich es traurig, dass diese Person sich offenbar meinen gesamten Blog durchgelesen hat und trotzdem davon redet, dass ich 
    a) im ersten Schwangerschaftsdrittel war und es
    b) keine stille Geburt war.
    Zum einen waren wir am Anfang des zweiten Drittels, zum anderen spricht man ab der zwölften Woche bereits von einer stillen Geburt. Ich habe mein Kind in der vierzehnten Woche bei mir zuhause auf natürlichem Wege zur Welt bringen müssen.
    Abgesehen davon machen diese Dinge für mich keinen Unterschied. Ob man sein Kind nun in der vierten oder in der vierzehnten Woche verliert, ob man eine Ausschabung beim Frauenarzt hat oder sein Kind auf natürlichem Wege zur Welt bringt, ist egal. Fakt ist, dass man sein Fleisch und Blut verliert. Dass das eigene Kind im eigenen Körper, direkt unter dem Herzen stirbt.
    Es stirbt ein Kind und Menschen wollen noch darüber diskutieren, wie traurig man darüber sein darf.
  • Ich habe in diesem Blog und auch bei Instagram mehrfach erwähnt, dass ich mit der Trauerverarbeitung aufholen muss, da ich anfangs weder darüber reden konnte noch mir selbst erlaubt habe, zu trauern. Wenn man also danach geht, wie lange ich intensiv trauere, dann ist es nicht drei Jahre her, sondern eins.
    Und selbst wenn es zwölf Jahre her wäre, sollten wir immer noch im Kopf behalten, dass ich die Hand meines toten Kindes gehalten habe.
  • Ich kaufe Noah keine Kisten voller Anziehsachen, Bettchen und Kommoden und richte ihm kein Zimmer ein. Ich habe ein paar Socken gekauft, um Greifbares zu erschaffen. Um mir selbst zu helfen, ohne mein Kind besser klar zu kommen.
  • Manchmal habe ich das Gefühl, einige Menschen könnten denken, dass ich permanent trauere und mich selbst in der Trauer um mein Kind verliere. Dem ist nicht so. Instagram und dieser Blog sind wie mein Tagebuch. Ihr kennt das. Man ist den ganzen Tag über beschäftigt, oft auch einfach glücklich und zufrieden und erlaubt sich dann am Abend eine halbe Stunde lang nachzudenken und vielleicht auch traurig zu sein. Das ist nicht verwerflich, das ist nicht krank, das haben wir alle mal. Ich rede im "realen" Leben selten über Noah und wenn, dann ab und zu mit meinem Helden oder meiner besten Freundin. Meine wirklich tiefgehenden Gedanken lasse ich hier heraus. Das Schreiben hat mir schon immer geholfen und aktuell hilft es mir sehr dabei, meine Trauer zu bewältigen. Wenn ich die Trauer und den Schmerz um Noahs Verlust spüre, setze ich mich an den Computer oder ans Handy und schreibe. Danach geht es mir besser.
  • Auch wenn es normal ist, dass die Natur "es so regelt", heißt das noch lange nicht, dass ich das gut finden muss. Mein Kind ist tot und daran gibt es für mich nichts gutes zu sehen.
Um den Rahmen nicht zu sprengen, teile ich dieses Thema ausnahmsweise mal in zwei Blogposts auf. Nach diesem Kommentar folgten nämlich einige Mamas, Sternenmamas und Nichtmamas, die mir den Rücken stärkten, und das durfte von Madame Miesepeter selbstverständlich nicht unkommentiert bleiben.

Seht also im nächsten Post:
Wie ich versuchte, mich zu rechtfertigen und Madame Miesepeter mir noch mal mit voller Wucht in die Fresse gehauen hat. 
Verbal. Und eigentlich eher ins Herz.
Aber ich bin mir sicher, irgendwo tief in ihr drin hätte sie mich in echt auch gerne gehauen.
Ich hätte es nach ihren Worten jedenfalls gerne getan.

Menschen, die andere verletzen,
danach einfach glücklich und ohne Reue weiterleben,
zeigen damit nur, wie dreckig ihr Charakter ist.

Mein Leben mit ohne Noah - nicht bei uns am Frühstückstisch und trotzdem immer bei mir. ♥

Liebe Nicht-Sternenmami,

Dienstag, 18. April 2017

Quelle: schoengeistig.tumblr.com


Viele Außenstehende fragen mich oft, welche Situationen, Eindrücke oder Themen mich bezüglich Noah am meisten verletzen. Nicht, um damit den Schmerz wieder auszulösen, sondern um genau diesen umgehen zu können. Ebenso melden sich viele Mamas bei mir, die sich manchmal schlecht fühlen, weil sie offen ihr "perfektes" Familienleben zeigen, während mein Sohn im Himmel ist.
Viele möchten damit nur mein Bestes und schränken sich damit selbst ein.
Die Antwort auf diese Frage ist letztendlich aber: Es gibt keine Antwort.

Ich finde es schwierig, zu sagen, dass mich der Anblick von schwangeren Frauen oder das Thema Familienplanung an sich herunterziehen würden, denn das stimmt nicht.
Ich gönne jedem seinen Nachwuchs und bin glücklich über jede Frau, die mein Schicksal nicht teilen muss und ein gesundes und munteres Kind zur Welt bringen darf. Was wäre ich für ein Mensch, wenn ich grundsätzlich niemandem sein Glück gönnen würde, nur weil mir schlechtes widerfahren ist?

Natürlich habe ich oft Phasen, in denen mich Babybäuche gedanklich wie Kanonen zurück zu dem Tag katapultieren, an dem ich mein Kind verloren habe. Natürlich gibt es Momente oder auch ganze Tage, an denen ich es nicht ertrage, Geschichten zur Familienplanung anderer anzuhören oder sogar mitreden zu müssen. Oft habe ich in solchen Momenten regelrechte Flashbacks, in denen ich mich wieder mit Wehen auf dem Badezimmerboden knien sehe und quasi mit ansehen kann, wie der Boden sich rot färbt.

Es gibt kein einfaches und klar formuliertes "Das und das verletzt mich und ich möchte dem so gut es geht aus dem Weg gehen". Es gibt keine Liste, von Dingen, die einen immer verletzen. 
Bei mir zumindest nicht.

Heute kann ich aufrichtig froh über deine Schwangerschaft sein und stundenlang mit dir über Babyschuhe reden, morgen kann das wieder ganz anders aussehen.
Wenn es gestern eine nette Geste war, über Noah zu reden, kann es mich morgen wieder zum Weinen bringen. Und was mich gestern zum Weinen gebracht hat, muss nicht heißen, dass wir nie wieder darüber reden können.
Manchmal weine ich, wenn ich deine Kinder sehe, weil ich mir vorstelle, wie Noah jetzt aussehen würde. Manchmal freue ich mich von ganzem Herzen, dass du eine glückliche Mama mit wundervollen Kindern bist. 

Bitte vergiss nicht, dass ich mich aufrichtig und ehrlich für dich freue, auch wenn es Phasen gibt, in denen ich es unfair finde, dass jeder Mensch ausser mir glücklich zu sein scheint. Ich bin dann nicht sauer auf dich, deinen Partner oder dein Kind. Ihr alle tragt keine Schuld daran. Ihr alle habt es verdient, jeden Tag eine glückliche Familie zu sein.
An finsteren Tagen, an denen alles unfair scheint bin ich einzig und allein sauer auf die Tatsache, dass mein Kind nicht bei mir sein kann.
Ich weiß nicht, wer genau mir mein Kind aus welchem Grund genommen hat. Ob es eine höhere Macht war, Gott, das Schicksal oder ob es letztendlich an mir lag, dass er gehen musste. 
Ihr habt mir mein Kind nicht genommen.

Deshalb sei unbesorgt, wenn ich mal traurig bin, du bist nicht schuld und du kannst es nicht ändern.
Die Phasen kommen und gehen, es liegt nicht an dir.
Manchmal bin ich schwierig und ich versuche, das zu ändern.
Ich danke dir aber an jedem Tag, dass du mich so nimmst wie ich bin und stets dein Bestes gibst.


Wir streben mehr danach,
Schmerz zu vermeiden,
als Freude zu gewinnen.
- Sigmund Freud. 

Mein Leben mit ohne Noah - nicht auf unseren Fotos und trotzdem immer bei mir.  


Modeerscheinung Sternenkind.

Mittwoch, 12. April 2017



"Weißt du, ich muss dir da etwas sagen..." - "Oh, ich weiß, ich habe auch ein Sternenkind!"

So oder so ähnlich laufen momentan scheinbar sehr viele Gespräche ab. Nicht mal unbedingt direkt mit mir, nicht mal unbedingt face-to-face, sondern viel lieber ganz anonym im Schutze des world wide webs.

Es erschreckt mich, wie viele Frauen mittlerweile Sternenmamas sind und wenn ich ehrlich bin, kann ich mich aktuell nicht entscheiden, ob ich einigen noch glauben kann. Ob einige dieser Frauen wirklich ihr Kind bzw. ihre Kinder verloren haben oder ob sie es nur vorgeben, um Ansehen und Beistand in sozialen Netzwerken abzustauben.

Natürlich möchte ich mir nicht anmaßen, jemandem so etwas zu unterstellen, aber leider zeigt die Erfahrung, dass es Menschen jeder Art gibt - auch Menschen, die sich Schicksalsschläge ausdenken.
Vielleicht haben auch einfach nur viele Sternenmamas erst durch das Internet den Mut gefunden, offen über ihren Verlust reden zu können und deswegen kommt es mir so vor, als seien Sternenkinder eine romantisierte Modeerscheinung. Ich weiß es nicht.

Vor einigen Wochen (oder Monaten) machten mich ein paar der Instagram-Mamis in meinem Feed darauf aufmerksam, dass es unter uns wohl eine Frau gäbe, die ihr komplettes Schicksal schlichtweg erlogen hätte. Bilder seien offenbar Fake, Rechnungen würden nicht ganz aufgehen und man würde sich immer wieder in Ausreden und Lügen flüchten, sobald man drauf angesprochen wurde.

Um ehrlich zu sein machte ich mir zu diesem Zeitpunkt nicht viele Gedanken darüber und hoffte einfach, man würde mich mit diesen Vorwürfen nicht auch konfrontieren.
Seit ich auf Instagram offen über meinen Sohn rede, habe ich aus irgendeinem Grund Angst davor, dass mir irgendjemand nicht glauben könnte. Wir haben von Anfang an viel Mist durchmachen müssen und haben keinerlei Erinnerungen an unseren Stern bei uns.

Die Erfahrung zeigte mir bisher immer - was du nicht beweisen kannst, das ist nicht passiert. Und ausser Nachsorge-Termine bei der Frauenärztin und das Rezept der in meinem Fall missglückten aber trotzdem berühmten "Pille danach", gibt es nichts greifbares, nichts womit ich die Chance hätte, meinem Kind ein Gesicht zu geben.
Aus diesem Grund und vermutlich auch deswegen, dass ich mir in schlimmen Tagen nicht mal selbst eingestehen wollte, was passiert war, fühle ich mich ab und an selbst unglaubwürdig.

Doch ich war nicht gemeint. Es handelte sich tatsächlich um eine Frau, deren Geschichte von vorn bis hinten unglaubwürdig klang. Einige Zeit danach hatte ich selbst das "Vergnügen", einen Jemanden im Internet kennen zu lernen, dessen Geschichte unglaubwürdig und an den Haaren herbei gezogen klang.

Lange habe ich darüber nachgedacht, wie ich diese Geschichte beurteilen sollte. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr - Fehlgeburten und stille Geburten sind die neuen Ed Hardy Shirts der Gesellschaft und aus irgendeinem Grund lässt sich mit "Trauerverarbeitung" und "Aufklärung" momentan Aufmerksameit in Massen anschaffen.

Im Endeffekt habe ich für mich beschlossen, dass ich niemanden verurteilen werde, nur weil dessen Geschichte unglaubwürdig klingt. Natürlich denke ich mir auf der einen Seite, dass es niemanden auf dieser Welt wirklich geben kann, der ein solches Thema so sehr ausschlachten und sich so viel ausdenken würde, nur um Aufmerksamkeit zu bekommen..
 Schliesslich trifft man auch keine Menschen auf der Straße, die sich selbst Krebs oder AIDS andichten und sich mit tödlichen Krankheiten schmücken würden. Menschen, die über ihre verstorbenen Kinder berichten, die haben in meinen Augen einen riesen großen Teil ihres Lebens verloren.
Andererseits gibt es überall schwarze Schafe. Und auch, wenn erlogene Geschichten uns als Sternenmamas schrecklich sehr verletzen, denke ich, sollten wir uns immer wieder vor Augen halten:
Menschen, die über ihre verstorbenen Kinder berichten, egal ob wahr oder gelogen, die haben in meinen Augen einen riesen großen Teil ihres Lebens verloren.
Wir mögen nicht wissen, was sie dazu bewegt hat, Lügen zu verbreiten, aber wir können mit Sicherheit sagen, dass es sich um bemitleidenswerte Menschen handelt, denen Hass nur die Aufmerksamkeit bringt, die sie sich so sehr erhoffen.
Und die vermutlich in ihrer aktuellen Situation sehr auf Aufmerksamkeit angewiesen sind.

Trotz allem möchte ich genau an diese Menschen appellieren:
Bitte, tut das nicht. Wenn ihr den Schmerz nicht selbst nachvollziehen könnt, spinnt euch keine Lügengeschichten zusammen, tut nicht so, als könntet ihr's. Als hättet ihr selbst eure Kinder tot zur Welt bringen müssen, denn das habt ihr nicht. Denn euer Verhalten verletzt Menschen, die diesen Schmerz Tag für Tag durchleben müssen.

Man macht sich nicht interessant damit, zu erzählen, dass man ein Kind verloren hat. Das ist nichts, was "in" ist, das ist nichts, was euch auf romantische Art und Weise zerbrechlich und schön macht.
Ein Kind zu verlieren ist das schlimmste, was jemandem je passieren kann.
Wie glücklich machen euch Aufmerksamkeit und liebe Worte zu einem Thema, das euch nie betroffen hat?

Die schwerste aller Sprachen ist Klartext.

Mein Leben mit ohne Noah- keine Modeerscheinung und trotzdem immer bei mir. ♥
 
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